Friedensprojekt EU? 21.02.20

PoE Worms nimmt den 75. Jahrestages der Zerstörung der Wormser Innenstadt durch Bomben zum Anlass auf zwei Dinge hinzuweisen:

  1. “ Über Jahrhunderte gehörten Kriege zu Europa dazu. Noch im 20. Jahrhundert starben im Zweiten Weltkrieg mindestens 55 Millionen Menschen, das alte Europa brach zusammen. Da war die Zeit gekommen für die Idee eines vereinten Europas, eine jahrhundertealte Utopie, die sich seit der Zeit der Griechen und Römer bis in die Neuzeit zieht. Über eine halbe Milliarde Europäer leben heute in Frieden und Freiheit – dank der EU. „Die europäische Integration ist das erfolgreichste Friedensprojekt der (neueren) Geschichte“, sagte der ehemalige Außenminister Guido Westerwelle.
  2. Am 9. Mai 1950 formulierte der französische Außenminister Robert Schuman die europäische Idee. Die europäischen Staaten sollten wirtschaftlich so stark zu einer Gemeinschaft im Dienste des Friedens verbunden werden, dass Kriege zwischen ihnen nicht mehr möglich sind. Die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahre 1952 war der erste Schritt, es folgten die Römischen Verträge 1957, die den Beginn des Friedensprojektes Europa darstellen.
  3. Blickt man zurück, so gab es noch nie in der Geschichte Europas so lange Frieden am Stück, jetzt bereits seit 70 (mittlerweile 75, d. R.) Jahren. Und das in einer Welt, in der rings um uns herum über 40 bewaffnete Konflikte schwelen, die jedes Jahr mindestens 170.000 Menschenleben fordern. …
  4. Für die Verbreitung von Frieden, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechte hat die EU 2012 den Friedensnobelpreis bekommen. Natürlich haben sich viele gefragt, ob die EU diese renommierte Auszeichnung verdient – obwohl Flüchtlinge auf dem Mittelmeer sterben und viele EU-Länder Waffen exportieren. Ja, hat sie. Denn ihre Verdienste für den Frieden sind unbestreitbar.“
  5. Zitat: Website der Europäischen Kommission (https://ec.europa.eu/germany/eu60/frieden_de)
  6. So richtig die Feststellung und Würdigung der Tatsache ist, dass es zwischen den EU-Mitgliedern keine Kriege mehr gegeben hat und hoffentlich niemals wieder geben wird: Es zeigt sich immer deutlicher, dass die Vorstellung einer »Friedensmacht« mit der gegenwärtigen EU immer weniger zu tun hat.
    Heute brauchen wir dringender denn je eine Europäische Union, die für Frieden und Menschenrechte eintritt – zu Hause und jenseits ihrer Grenzen.
    Doch ab 2021 sind Milliardeninvestitionen für die europäische Rüstungsindustrie, gemeinsame Militäreinsätze und noch mehr Grenzsicherung geplant. Die Förderung von Frieden und Menschenrechten droht der Abwehr von Migration und Flucht zum Opfer zu fallen.
  7. Wir sind überzeugt, dass die Europäische Union die Herzen ihrer Bürgerinnen und Bürger nur als Friedensprojekt und nicht als Militärmacht gewinnen wird.
  8. Ein Beispiel für fehlende Friedensarbeit der EU:

Seit 9 Jahren herrscht Krieg in Syrien. Wenn man die Fotos des zerstörten Worms (links) sieht, fühlt man sich erschreckend an die aus dem Krieg in Syrien (rechts) erinnert:

Dazu Auszüge aus einem Buch von Kristin Helberg. Sie arbeitet als freie Journalistin und Nahostexpertin in Berlin. Von 2001 bis 2008 lebte sie in Syrien und berichtete von dort aus über die arabische Welt. Ihr Buch „ Der Syrienkrieg “ ist 2018 im Herder Verlag erschienen.

Krieg in Syrien – Die „Syrienisierung“ der Welt

Seit Jahren produziert der Syrien-Konflikt weltweit die meisten Geflüchteten: 6,3 Millionen außerhalb Syriens und noch mal so viele Vertriebene innerhalb des Landes. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung musste ihr Zuhause verlassen. Humanitär, politisch und militärisch gilt der Krieg als größte menschengemachte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg, als historisches Versagen unserer Zeit.
Längst ist aus dem innersyrischen Machtkampf ein Weltkonflikt geworden, dessen Folgen vor allem Europa betreffen und dessen Lösung uns deshalb alle angeht . Syrien wurde internationalisiert, jetzt wird die Welt „syrienisiert“– das Ergebnis ist eine neue Welt-Unordnung, die sich unsicher und unmenschlich anfühlt. Was in Syrien passiert, ist das Ergebnis eines Totalversagens der internationalen Gemeinschaft – ihrer Institutionen, Regierungen und Gesellschaften. Die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs etablierten Mechanismen zur Verhinderung oder Beilegung von Konflikten funktionieren in Syrien nicht….

Folgende sechs Entwicklungen lassen sich beobachten.

  1. Zunahme innerstaatlicher Konflikte
  2. Konflikte werden von Regionalstaaten gesteuert
  3. Bündnistreue war einmal
  4. Stellvertreterkrieg mit nichtstaatlichen Akteuren
  5. Das Vertrauen in internationale Institutionen erodiert
  6. Rückkehr der Autokratie

Bis vor wenigen Jahren galt die liberale Demokratie unangefochten als beste Form des Zusammenlebens: frei, rechtsstaatlich und wirtschaftlich erfolgreich. Inzwischen entwickeln Autokraten wieder Strahlkraft.
Und nun zeigt der Syrien-Konflikt, dass autokratisch regierte Länder ihre außenpolitischen Interessen viel erfolgreicher durchsetzen können als Demokratien. Während Letztere sich um Parlamentsmehrheiten kümmern und die öffentliche Meinung berücksichtigen müssen, können Staatschefs wie Putin, Erdogan und Irans Revolutionsführer Khamenei schnell und fast im Alleingang entscheiden.
In Syrien hat die Autokratie deshalb eindeutig gesiegt. Der Westen hat viel geredet und wenig getan und mit dieser Lücke zwischen Worten und Taten die eigene Glaubwürdigkeit verspielt. Er konnte mit seinem System aus internationalen Absprachen, moralischen Prinzipien und demokratisch legitimierten Institutionen weder den Syrern helfen noch den Krieg beenden – die liberale Demokratie hat in Syrien versagt.

Gedenken heißt auch weiter Denken:
PoE Worms wird deshalb bei einer Reihe Veranstaltungen zum Gedenken an die Zerstörung von Worms 1945 ein Papier zum aktuellen Versagen der EU als „Friedensprojekt“ verteilen:
Das Papier in ausführlicher Form als PDF Datei finden Sie hier.

Wenige Minuten reichten aus, um die Wormser Innenstadt nahezu vollständig zu zerstören – so wie die Dreifaltigkeitskirche (links) und das Cornelianum (Mitte), das später komplett abgerissen wurde. (Foto: Stadtarchiv Worms)

Als Worms im Bombenhagel unterging

Im Februar und März 1945 legten Angriffe die Stadt in wenigen Minuten in Schutt und Asche – zum 75. Jahrestag sind eine Reihe von Gedenkveranstaltungen geplant.

• Jahrestag des ersten Bombenangriffs am Freitag, 21. Februar , lädt Oberbürgermeister Adolf Kessel ab 14 Uhr zur traditionellen Gedenkveranstaltung auf dem Hauptfriedhof

• Am selben Tag gibt es ab 19 Uhr einen ökumenischen Gedenkgottesdienst mit Dekan Harald Storch und Propst Tobias Schäfer. Der Gottesdienst beginnt im Dom – um 19.30 Uhr folgen ein ökumenisches Stadtgeläut aller Innenstadtkirchen und ein gemeinsamer Gang zur Dreifaltigkeitskirche , wo der Gottesdienst fortgesetzt wird.

• Sonntag, 23. Februar , wird mit zwei Sondervorstellungen der „Matineen im Heylshof“, 11, 15 und 17 Uhr , im Foyer des Wormser der Stadtzerstörung gedacht . Die beiden Veranstaltungen mit Dr. Jörg Koch, Karl-Heinz Deichelmann und Paul Streich stehen unter dem Titel „Bombennacht – Es brennt die Stadt am Strom. Gedichte. Geschichte. Musik.“ Der Eintritt zu den Matineen ist frei, kostenlose Zugangskarten sind bei Bücher Bessler, in der Kunsthandlung Steuer und im TicketService in der Rathenaustraße 11 erhältlich.

• Donnerstag, 19. März , einen Tag nach dem zweiten vernichtenden Angriff auf die Stadt, gedenken die Wormser um 11 Uhr auf dem Hauptfriedhof den Soldaten des „Baupionier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillons 12“.

• Donnerstag, 19. März hält Dr. Jörg Koch ab 19 Uhr in der Stadtbibliothek einen Vortrag zum Thema „Als Worms unterging“. Bilder der zerstörten Stadt und Zeitzeugenberichte sollen die Stimmung jener schrecklichen Tage vermitteln. Der Eintritt zum Vortrag ist frei.

• Kriegsende ist für Mittwoch, 25. März, ab 11 Uhr eine weitere Gedenkveranstaltung geplant. Am Rhein , an der Stelle, an der die US-Army den Fluss nach der Brückenzerstörung überquerte, wird an die Befreiung der Stadt erinnert. Mit dabei sind Nachfahren von Captain Neil van Steenberg, der die US-Truppen anführte, die am 20. März 1945 Worms erreichten. Van Steenberg war zudem in der ersten Zeit nach Kriegsende Stadtkommandant in Worms. Den musikalischen Rahmen der Gedenkveranstaltung bildet ein Quintett der US-Army, geladen sind zudem auch hochrangige Army- und Bundeswehr-Funktionäre.

• Ein weiterer Diskussionsabend ist für Donnerstag, 26. März, ab 18 Uhr im Raschi-Haus geplant. Dr. Gerold Bönnen und Army-Mitarbeiter Carlo Riva gestalten den Abend mit Vorträgen. Ergänzt werden diese von Laura Karnasch, die US-Film- und Bildmaterial zum Kriegsende präsentiert.

Beim ersten Angriff am 21. Februar 1945 ging gegen 20 Uhr ein Regen aus 1100 Sprengbomben und 100 000 Brandbomben aus einem alliierten Bomberverband der Royal-Air-Force auf die Stadt nieder. Hinzu kamen Kanister mit Phosphor. Der Angriff kostete 239 Menschen das Leben, darunter waren viele Kinder.Beim Angriff amerikanischer Verbände am 18. März 1945 verloren weitere 141 Menschen ihr Leben.25 000 Wohnungen und zahlreiche Monumente und Sehenswürdigkeiten, etwa die Dreifaltigkeitskirche, wurden zerstört – nahezu zwei Drittel der Innenstadt lag in Schutt und Asche. Im Mai 1945 kapitulierte Deutschland, der Krieg war zu Ende.

Bericht: Wormser Zeitung vom 31.01.2020